Werkstoffwoche in der Materialmetropole Dresden

Nach dem historischen Vorbild der dreiwöchigen Werkstoffschau mit begleitender Tagung in Berlin im Jahre 1927 (über 235 000 Besucher) veranstaltete die Deutsche Gesellschaft für Materialkunde e.V. Frankfurt/Main (DGM) gemeinsam mit dem Stahlinstitut VDEh Düsseldorf vom 14. – 17. September in Dresden die Werkstoffwoche 2015. Kombiniert wurde diese mit der Fachmesse „Werkstoffe für die Zukunft“, in der rd. 80 Aussteller ihre Produkte und Dienstleistungen präsentierten.

Die Werkstoffwoche von heute versteht sich als Branchentreff des Maschinenbaus, der Sensorik, Mess- und Prüftechnik, der Werkstoffe, Verfahren und der Fertigung. Über 1 800 Fachleute aus den Bereichen Maschinenbau, Energie-, Medizin-, Verkehrs-, Informations- und chemische Verfahrenstechnik nutzten die Möglichkeit zu einem Informations- und Erfahrungsaustausch. Gleichzeitig diente die Werkstoffwoche den DGM-Fachausschüssen zur Durchführung von Symposien, bei denen die Experten die neusten Entwicklungen auf ihrem Gebiet diskutieren konnten. Außerdem fanden Seminare sowie zwei Poster-Abende statt, in denen Werkstoffanwender aus angrenzenden Disziplinen, beispielsweise auch aus der Recyclingtechnik, ihr Fachwissen vertiefen und konkrete Fragestellungen behandeln konnten. Hervorzuheben ist auch die Möglichkeit für junge Wissenschaftler und Praktiker, die u. a. zu einem Karriereworkshop innerhalb eines speziellen Nachwuchsforums eingeladen wurden.

Prof. Dr.-Ing. Hans-Jürgen Christ, stellvertretender Vorsitzender der DGM, eröffnete die Werkstoffwoche und hob ihre Anwendungsorientierung als Industriemesse besonders hervor. Sachsens Finanzminister, Prof. Dr.-Ing. habil. Georg Unland,  stellte in seiner Begrüßungsansprache die Einzigartigkeit des Standortes Dresden für die Veranstaltung heraus: neben der Exzellenz-Universität TU Dresden gibt es über 20 außeruniversitäre Einrichtungen, die sich erfolgreich mit werkstoffwissenschaftlichen Fragestellungen befassen, z.B. für den Einsatz im Maschinenbau, Kranbau und dem Bau von Aufbereitungsmaschinen. Verschleißfeste Materialien für innovative Zerkleinerungsmaschinen sei nur ein Thema, das im Fokus stehen muss, allein schon, wenn man an den Energieverbrauch für die Zerkleinerung denkt.

Als Wiege der Materialwissenschaften und Ingenieurtechniken bezeichnete Oberbürgermeister Dirk Hilbert die Stadt Dresden – das Florenz an der Elbe. Die Verknüpfung dieser Wissenschaftszweige mit anderen Branchen wie beispielsweise der Mikroelektronik  sei ebenso ein Markenzeichen wie die Entwicklung von Produkten und Verfahren bis zu Serienreife.

Hans-Jürgen Kerkhoff, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl, stellte die Verbindung der Werkstoffwissenschaften mit der modernen Informationstechnik als Besonderheit in Dresden heraus. „Innovation, das ist die Summe von Idee, Papier (heute Tablet) und Werkstoff“, wobei die Innovationszyklen immer kürzer werden“. Der Präsident prognostizierte, dass sich die Werkstoffwoche Dresden zu einem unübertroffenen Branchentreff für Wissenschaftsexperten der Werkstofftechnik entwickeln wird.

„Vernetzt denken und handeln“ sei heute eine unverzichtbare Prämisse, so Harald Kröner, Präsident der Wirtschaftsvereinigung Metalle. Ressourceneffizienz ist besonders für NE-Metalle ein Gebot der Stunde, wobei „Metallquellen“ heute mehr und mehr Produkte und Abfälle sind und das „Urban Mining“ die Ressource der Zukunft sei.

Prof. Jürgen Hirsch, amtierender  Vorsitzender der DGM bezeichnete in seinem Grußwort die Bedeutung der Werkstoffwoche Dresden als den Beginn eines neuen Zeitalters der DGM. Die intensive Nutzung der Vernetzung mit der Wirtschaft sowie die Zusammenarbeit zwischen NE- und Stahlindustrie sind wichtige Pfeiler für die deutsche Wirtschaft, wobei die Basis für eine profunde Weiterentwicklung die Werkstoffwissenschaften sind.

Aus Anlass der Werkstoffwoche hatte die Stadt Dresden gemeinsam mit der Dresden Marketing GmbH, dem Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik an der TU Dresden und dem Luft- und Raumfahrtzentrum Sachsen/Thüringen am 16. September 2015 zu einer Journalisten-Reise eingeladen, die am Abend zuvor in feierlichem Rahmen begann. Hervorragend organisiert konnten sich die Vertreter meist technisch orientierter Zeitschriften einen ausgezeichneten Überblick über das in Dresden vorhandene Potenzial auf dem Werkstoffsektor verschaffen. Der Schwerpunkt der Exkursion lag bei den Themen Neue Werkstoffe und Leichtbau für die Automobil- und Maschinenbauindustrie sowie für die Luft- und Raumfahrt. Dass dabei immer wieder themenübergreifende und andere Gebiete betreffende Fragestellungen aufkamen – z. B. das Recycling – lag auf der Hand und wurde von den Gesprächspartnern der jeweiligen Besuchseinrichtungen in hervorragender Weise  aufgegriffen. 

Erste Anlaufstation war der Leichtbaucampus der TU Dresden, speziell das Institut für Leichtbau und Kunststofftechnik. Institutsdirektor Prof. Hubert Jäger erläuterte die Notwendigkeit der Entwicklung neuer Werkstoffe, um die Zukunft gestalten zu können. „Zur Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen benötigen wir Energie. Eine wichtige Einflussgröße für diese sind die bewegten Massen, die es zu vermindern gilt. Daher forschen wir auf diesem Gebiet“, so Prof. Jäger. Beispielsweise werden hybride Werkstoffverbunde wie hochintegrierte Bauteile aus CFK  (carbonfaserverstärkter Kunststoff) und Stahl für das Automobil der Zukunft, das sportlich, alltagstauglich und bezahlbar sein soll, entwickelt. Die Aufgabe des Instituts sieht er in der Vorbereitung der Industrie, aber nicht für die nächste Generation von Maschinen und Fahrzeugen, sondern für die übernächste. Es wurden interessante Einblicke in die Bereiche Automobile, Flugzeuge/Luftfahrt und Energiesysteme (Windräder) gegeben. So soll im Automobilbereich der Bau von Elektro-Fahrzeugen mit einem Gewicht von 900 kg einschließlich Batterie, die heute noch 1 300 kg wiegen, möglich werden (InEco-Projekt). Dabei sind Systemlösungen gefragt. Nicht der Ersatz von Einzelteilen, sondern das gesamte Fahrzeug wird verändert, wie Dr.-Ing. Jens Werner (Geschäftsführer der ThyssenKrupp Carbon Components GmbH) bei dem Institutsrundgang erläuterte. Es gelingt bereits heute, Fahrzeugteile in einer Maschine herzustellen, für die früher 15 Einzelmaschinen gebraucht wurden. Weitere interessante Einzelheiten waren die Entwicklung von Leichtbaurädern für Busse (Aluminium-Stern mit CFK-Laufflächen), die 2016 im Praxistest der Dresdner Verkehrsbetriebe auf einer reellen Buslinie erprobt werden sollen. 

Weitere interessante Details wurden im Bereich Luftfahrtechnik vorgestellt, beispielsweise die Forschungen an Bauteilen des
A 350 mit Fußbodenplatten, die hohen Belastungen ausgesetzt werden, durch die Ausnutzungen der nicht isotropen, sondern richtungsabhängigen Eigenschaften der CFK-Werkstoffe. Zur Beurteilung der Eigenschaften der Werkstoffe wurde ein Prüffeld eingerichtet, in dem beispielsweise das Ermüdungsverhaltenbei statischer, zyklischer und hochdynamischer Belastung ermittelt wird. Durch  Einsatz eines Computer-Tomographen in Verbindung mit einem Belastungsgerät für Zug-, Druck- und Torsionsbelastung können Rissschließungseffekte ausgeschlossen werden. Ein Fallturm (27 m Höhe) dient der Untersuchung des hochdynamischen Verhaltens und simuliert damit Unfälle oder den Vogelflug.

In der Kunststoffanwendungshalle beeindruckte vor allem ein Flechtrad mit 7 m Durchmesser, mit dem Hybridfasern geflochten und Stahlfäden, aber auch Sensoren eingebracht werden können. Anwendungsbeispiele dafür sind Hochdruckbehälter oder Flugzeugrümpfe. 

Im Bereich Leichtbaudesign und Strukturbewertung vermittelte Prof. Dr.-Ing. habil. Maik Gude, Leiter dieses Bereichs, dass ohne die Forschungsarbeiten zu dieser Thematik unsere heutigen Mobilitätsgewohnheiten weder ökologisch vertretbar, noch ökonomisch realisierbar wären. So konnten das Gewicht der Sitzbankschalen für PKWs durch neue Werkstoffe um 50 % gesenkt werden oder die Anzahl von Bauteilen für die biegebelastete B-Säule von Fahrzeugen durch Verwendung von Organoblechen anstelle von Stahl drastisch vermindert werden. Auch die Verbindung von Stahl mit Organoblechen gelingt mittels Haftvermittlern. Im Bereich von Prof. Gude beschäftigt man sich auch mit Recyclingfragen, beispielsweise dem Recycling von CFK. Möglich ist hierfür ein Pyrolyseverfahren, aber besser erscheint die stoffliche Verwertung durch Hochspannungsfragmentation, da keine Verluste auftreten. Insofern erscheint besonders interessant, dass eine Tagung zur Verwertung von CFK-Recyclaten geplant ist.

Nicht weniger informativ gestaltete sich der Besuch der IMA Materialforschung und Anwendungstechnik GmbH, bei der die unterschiedlichsten Produkte – von der Prothese bis zum Flugzeug – getestet werden wie u. a. Dr. Heinrich, und Dr. Roth (Abteilungsleiter Kunststoffe bzw. Metalle) erläuterten. Dazu stehen Prüflabore  mit verschiedenen selbst entwickelten Prüfständen, beispielsweise für zyklische Ermüdungsprüfungen, für Strukturtests (Festigkeitsprüfungen für den Lebensdauernachweis) oder zur Messung des Risswachstums zur Ermittlung von Inspektionsintervallen (Flugwesen) zur Verfügung, um nur einige wenige zu nennen.

Abschließend wurden auf der Fachmesse „Werkstoffe für die Zukunft“, verschiedene Messestände besucht. Stellvertretend sei der Stand des Fraunhofer Instituts für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) Dresden genannt. Bereichsleiter Prof. Dr.-Ing. Christoph Leyens erläuterte sehr eindrucksvoll die vielseitigen Arbeiten des IWS zur Entwicklung von Speichermaterialien und Batteriekonzepten. Auf dem Gebiet der additiven generativen Fertigung nimmt der 3-D-Druck eine eminent wichtige Rolle ein, wie am Beispiel eines Planetengetriebes erläutert wurde.

Zur Einführung des Messebesuchs fand ein Pressegespräch mit den Herren Dr.-Ing. Peter Dahlmann, VDEh und Dr.-Ing. Frank O. R. Fischer, DGM, beide jeweils geschäfts­führendes Vorstandsmitglied, statt. Sie erläuterten nochmals Sinn und Zweck der Werkstoffwoche Dresden, die vor allem darin begründet sind, dass heute Konstruktions- und Funktionswerkstoffe im Maschinen- und Anlagenbau viel stärker als maßgebliche Einflussgröße wahrgenommen werden  als früher. Aus den Erfahrungen früherer Veranstaltungen (1996, 1998 und 2004) die für die Industrie einen zu wissenschaftlichen Charakter aufwiesen, sollten in diesem Jahr Werk­stoffentwickler, -hersteller und -anwender zusammen gebracht werden. Der auf Grund der Anmeldung schon zu Beginn abzusehende Erfolg der Werkstoffwoche mit Fachmesse sei Grund genug, eine periodische Wiederholung der Veranstaltung  vorzusehen.  Dresden hat sich als idealer Standort dafür erwiesen, sodass die nächste Werkstoffwoche wiederum hier stattfinden wird. Geplant ist der Zeitraum 24. bis 27.09.2017.

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