Gipsrohstoffquellen

Innovative Forschungsansätze zum Gipsrecycling

Die Maßnahmen zum Klimaschutz in Deutschland sehen den gesteigerten Einsatz von Erneuerbaren Energien und die Beendigung der Kohleverstromung vor. Der notwendige Kohleausstieg hat allerdings auch den Rückgang und die Verfügbarkeit von Nebenprodukten der Stromerzeugung durch Kohle zur Folge, die auch bei der Verfügbarkeit von industriell hergestelltem Gips sichtbar werden. Durch den Wegfall von Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen (REA-Gips) steht mehr als die Hälfte der in der Gipsindustrie zum Einsatz kommenden Rohstoffmenge zukünftig nicht mehr zur Verfügung. Die Hochschule Nordhausen sucht mit Partnern aus Wissenschaft und Wirtschaft auf Bundes- und Landesebene im Rahmen von Forschungsprojekten nach Lösungsansätzen zur Schließung der wachsenden Gips-Lücke. Im Rahmen des WIR!-Bündnisses „Gipsrecycling als Chance für den Südharz“, das durch die Hochschule koordiniert wird, werden Projekte entlang des Wertstoffkreislaufes Gips verfolgt. Der Forschungsverbund „Ressourcenmanagement und nachhaltiges Bauen“ [2], ein fachlicher Zusammenschluss Thüringer Forschungseinrichtungen und Hochschulen, beschäftigt sich ebenfalls mit einem ressourcenschonenden Umgang und Einsatz von Gips. Die intensiven Forschungsaktivitäten im Bereich des Rohstoffes Gips bilden die Grundlage für eine zukünftig weitere Verstärkung des ressourcenschonenden Einsatzes dieses Rohstoffes und bietet die Chance, den Schutz der Gipskarstlandschaft und den Erhalt der regionalen Wertschöpfung im Südharz zu sichern.

1 Einleitung

Im Zuge der neuen Regierungsbildung der Bundesrepublik Deutschland Ende 2021 wurde sich darauf verständigt, den Kohleausstieg nochmals zu beschleunigen. Sofern es gelingt, den Ausstieg „idealerweise“ bereits 2030 zu realisieren [1], verschärft sich die Rohstoffverfügbarkeit der anfallenden Nebenprodukte aus der Kohleverstromung. Dies gilt auch für den dann wegfallenden Gips aus Rauchgasentschwefelungsanlagen – kurz REA-Gips. Mit dem Rückgang des REA-Gipses entsteht eine Rohstofflücke, für die alternative Lösungen gefunden werden müssen, um den aktuell und zukünftig bestehenden Bedarf zu decken. Das Recycling von Gipsabfällen und der Einsatz des Recycling-Gipses (RC-Gips) in der Industrie bilden einen Baustein zur Kompensation des wegfallenden REA-Gipses. Im Jahr 2020 wurden etwa 45000 t RC-Gips aus Gipsabfällen in Deutschland produziert [3], was weniger als 1 % der in der gipsverarbeitenden Industrie eingesetzten REA-Gipsmenge entspricht. So kann wahrscheinlich auch eine deutliche Steigerung der Recycling-Gipsmengen die REA-Gipslücke nicht befriedigend schließen und macht somit die Suche nach weiteren Lösungsansätzen notwendig. Neben neuen Gipsrohstoffquellen können auch die Entwicklung und der Einsatz von alternativen Trockenbaustoffen zu einer Entschärfung der Lage beitragen.

 

Die Rohstoffknappheit ist Ansatzpunkt der im Rahmen des WIR!-Bündnisses „Gipsrecycling als Chance für den Südharz“ und des Forschungsverbundes „Ressourcenmanagement und nachhaltiges Bauen“ durchgeführten Forschungsprojekte. Sie befassen sich mit Problemstellungen entlang des Wertstoffkreislaufes Gips. Gesucht werden innovative Lösungen u.a. zur Steigerung der Rückführungsquote von Gipsabfällen, Nutzung von alternativen Rohstoffquellen sowie zum reduzierten Einsatz von Gips.

 

2 WIR!-Bündnis Gipsrecycling als Chance für den Südharz

Nach erfolgreichem Abschluss der Konzeptphase sowie einer positiven Begutachtung startete das Bündnis im ersten Halbjahr 2019 in die Umsetzungsphase. Im Rahmen des Bündnisses werden im Innovationsfeld Gipsrecycling und den Teil-Innovationsfeldern Rückführung, Aufbereitung und Verwertung konkrete (Verbund)-Forschungsprojekte initiiert und durchgeführt. Ein Forschungsbeirat mit Mitgliedern aus Industrie und Wissenschaft stellt fortlaufend eine unabhängige Evaluation der Forschungsideen, -anträge und -ergebnisse sicher.

 

Das WIR!-Bündnis „Gipsrecycling als Chance für den Südharz“ wird im Förderprogramm „WIR! – Wandel durch Innovation in der Region“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.

 

2.1 Bündnispartner und Region

Das WIR!-Bündnis umfasst 4 Initialbündnispartner. Neben der Hochschule Nordhausen als Bündniskoordinatorin gehören das Unternehmen CASEA GmbH mit Sitz in Ellrich sowie die Bauhaus-Universität Weimar dem Zusammenschluss an. Weiterhin ergänzt der Verein für Regionalentwicklung e.V. aus Bleicherode das Bündnis. Bild 1 zeigt die Bündnisregion. Sie umfasst im weiteren Sinne die Bereiche des Südharzes mit natürlichen Gipsvorkommen, die sich von West (Osterode) nach Ost (Sangerhausen) in einer Länge von etwa 60 km und einer Breite von etwa 7 km erstrecken. Neben den Initialbündnispartnern beteiligen sich auch zahlreiche weitere regionale und überregionale Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft sowie verschiedene Interessensvertreter an den (Verbund-)Projekten.

 

2.2 Projekte

Im Zuge des Bündnisses sind bereits 9 Forschungsprojekte gestartet. Weiterhin soll im Jahr 2022 mit der Umsetzung von zwei weiteren, aktuell in Beantragung stehenden Projekten begonnen werden. Die erste Umsetzungsphase umfasst somit 11 Projekte. Weiterhin wurden den wissenschaftlichen Initialbündnispartnern zusätzliche Fördermittel durch das BMBF zur spezifischen Aufrüstung der Forschungsinfrastruktur zur Verfügung gestellt. Bild 2 gibt einen Überblick über die Projekte sowie die beteiligten Projektpartner.

 

Rückführung von sulfathaltigen Stoffströmen (RueGips)

Exemplarisch soll im Folgenden eines der Projekte vorgestellt werden. Das Projekt RueGips [4] setzt sich generell zum Ziel, die Rückführungsquote von Gipsabfällen zu steigern und somit die Verfügbarkeit von RC-Gips zu erhöhen. Hierbei liegt der Fokus u.a. auf Gipsabfällen, welche bisher nicht bzw. kaum einem stofflichen Recycling zugeführt und somit dem Wertstoffkreislauf entzogen wurden. Bestandteil des Projektes ist es ebenfalls, der Rückführung des massenreichsten Gipsabfallstoffstroms, nämlich den Baugipsen, Rechnung zu tragen und deren Bereitstellung und Kreislaufführung zu optimieren.

 

Das im Frühjahr 2021 gestartete Vorhaben erarbeitet die Rahmenbedingungen eines geplanten Praxistestes. Hierfür wurden in aufeinander folgenden Schritten die Systemgrenzen und die Befragungsregion definiert sowie relevante Akteure identifiziert und in einer Firmendatenbank katalogisiert. Zur Erfassung der Ausgangssituation wurden durch ein Gremium Kriterien zur Befragung erarbeitet sowie eine geeignete Datenerhebungsmethodik festgelegt. Aufbauend auf der Kriteriensammlung wurden spezifische Fragen konzipiert, gebündelt und kategorisiert in einen Online-Fragebogen überführt. Dieser wurde ca. 200 Akteuren relevanter Tätigkeitsfelder in der festgelegten Befragungsregion, dem Südharz, im Sommer übermittelt. Über einen Zeitraum von etwa 8 Wochen konnten die Befragten u.a. Angaben zu Gipsabfällen in ihren Unternehmen machen. Die Rücklaufquote betrug 13 %. Die durchgeführte Befragung (Primärdatenanalyse) und eine umfassende Recherche (Sekundärdatenanalyse) bilden die Grundlage, die Wege des Gipses (Stoffstromanalyse) im Südharz sowie bundesweit darzustellen.

 

Im Ergebnis der Stoffstromanalyse wurden relevante Abfallströme identifiziert. Aktuell werden diverse Gipsabfallproben hinsichtlich ihrer Recyclingfähigkeit untersucht. Dieser Arbeitsschritt ermöglicht die finale Festlegung auf einen im Zuge des Praxistests zu untersuchenden Abfallstrom, der in einem Folgeprojekt die Basis für ein final zu entwickelndes Sammel- und Logistikkonzept ist.

 

2.3 Ausblick WIR!-Bündnis

Im Rahmen des WIR!-Bündnisses „Gipsrecycling als Chance für den Südharz“ werden wichtige Forschungsfragen im Innovationsfeld Gipsrecycling aufgegriffen. Neben den laufenden Forschungsvorhaben werden 2022 zwei weitere Projekte in der ersten Umsetzungsphase des Bündnisses beantragt und gestartet. Das Projekt „Mobilisierung von Gipsabfällen am Beispiel der Dentaltechnik und gipshaltiger Bauabfallkleinmengen privater Haushalte“ betrachtet die Mobilisierung von Gipsabfallkleinmengen. Weiterhin soll die Akzeptanz der Recyclinggipsrohstoffe durch das angestrebte Verbundvorhaben „Akzeptanz- und Nachhaltigkeitskonzept Gipsrecycling – Akzeptanz schaffen und fördern“ gesteigert werden.

 

3 Thüringer Forschungsverbund „Ressourcenmanagement und nachhaltiges Bauen“

Der Rückgang der REA-Gipsverfügbarkeit erhöht den Druck auf den Naturgipsabbau und verstärkt den ohnehin schon bestehenden Konflikt zwischen Naturschutz (Erhalt der Gipskarstlandschaft) und dem Naturgipsabbau. Der Forschungsverbund „Ressourcenmanagement und nachhaltiges Bauen“, welcher die wissenschaftlichen Kompetenzen Thüringens diesbezüglich bündelt, erarbeitet u.a. Lösungsansätze zum Schließen der Gipslücke. Dazu gehört die Entwicklung neuer Recyclingverfahren für gipshaltige Abfallstoffe, die Erforschung alternativer Baustoffe und zirkulärer Bauweisen sowie die natur- und landschaftsgerechte Gestaltung von Bergbaufolgelandschaften.

 

3.1 Bündnispartner

Der Forschungsverbund setzt sich aus vier Thüringer Forschungseinrichtungen zusammen. Neben der Hochschule Nordhauen (HSN) mit dem Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe (ThIWert), gehören dem Verbund die Materialforschungs- und -prüfanstalt an der Bauhaus-Universität Weimar (MFPA), die Bauhaus-Universität Weimar mit dem F.A. Finger-Institut für Baustoffkunde (FIB) sowie das Institut für Angewandte Bauforschung Weimar GmbH (IAB) an.

 

3.2 Projekte

Im Rahmen des Verbundes werden seit Mitte 2021 vier Verbundprojekte der Thüringer Partner zum Themengebiet Gips durch das Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Wissenschaft und digitale Gesellschaft mit insgesamt 3 Mio. € gefördert. Bild 3 gibt einen Überblick der aktuellen Verbundprojekte mit den Koordinatoren.

 

Die in Bild 3 gelisteten Forschungsvorhaben werden jeweils mit 750 000 € gefördert, wobei jeder Verbundpartner in einem Forschungsprojekt die federführende Koordination übernimmt. Die Hochschule Nordhausen bearbeitet federführend das Projekt „Entwicklung von zerstörungsfrei rückbaufähigen, wiederverwendbaren Gipsbauprodukten zur Erstellung variabler, modularer Nutzungseinheiten“ [5]. Zur Stärkung des Standortes Nordhausen und den Ausbau der Forschungsinfrastruktur in diesen Themenfelder unterstützt der Freistaat Thüringen den Aufbau eines Forschungscampus mit einer Fördersumme von 3 Mio. €.

 

4 Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe (ThIWert)

Angegliedert an die forschungsstarke Hochschule Nordhausen entstand 2018 in Kooperation mit dem IAB Weimar und der Bauhaus-Universität Weimar das Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe (ThIWert), gefördert durch den Freistaat Thüringen und aus Mitteln des EFRE (EU) kofinanziert.

 

Das ThIWert legt großen Wert auf anwendungsnahe, interdisziplinär vernetzte Forschung und Technologietransfer im Bereich der Ressourceneffizienz. In Kooperation mit der Thüringer Industrie, dem Gewerbe und der Wissenschaft ist es das Ziel des ThIWert, innovative Lösungen für aktuelle Entsorgungsprobleme zu erarbeiten und neue Recycling- und Entsorgungskonzepte zu entwickeln, um so einen Mehrwert für die Umwelt, die Menschen und die Unternehmen der Region und darüber hinaus zu schaffen.

 

Mit dem Fokus Kreislaufwirtschaft steht im ThIWert-Technikum ein moderner Maschinenpark zur Verfügung, um Recycling-Forschung im Pilotmaßstab zu realisieren. Ein Anwendungsschwerpunkt zur Schonung primärer Rohstoffe durch Recycling/Urban Mining ist dabei das Themenfeld Baustoffrecycling, Gipsrecycling und alternative Baustoffe.

 

5. Zusammenfassung und Ausblick

Der Kohleaussieg und die damit sinkende Verfügbarkeit von REA-Gips führen zu einer rasch wachsenden Gipslücke in den kommenden Jahren. Die Hochschule Nordhausen stellt sich gemeinsam mit ihren Forschungspartnern dieser Herausforderung und hat die Forschungsaktivitäten mit finanzieller Unterstützung des Bundes und des Freistaates Thüringen in den letzten Jahren stark ausgebaut. Aufbauend auf bestehende Forschungsergebnisse werden verstärkt folgende Lösungsansätze verfolgt.

Verstärktes Recycling von Gipsprodukten bzw. Gipsabfällen

Erschließung alternativer Gipsrohstoffquellen

Substitution von Gipsprodukten durch andere Materialien

 

Dabei sollen neue Lösungswege von der Reduzierung des Gipsanteils in Gips-Baustoffen bis hin zur Entwicklung von alternativen gipsfreien Trockenbaustoffen aufgezeigt werden. Ein weiterer Forschungsansatz ist die Entwicklung von zerstörungsfrei rückbaufähigen und damit direkt wiederverwendbaren Gipsbauprodukten. Dazu werden die Forschungsaktivitäten an der Hochschule Nordhausen innerhalb des Thüringer Innovationszentrums für Wertstoffe (ThIWert) im Verbund mit vielen renommierten Forschungspartnern gebündelt und zusammengeführt, z.B. im WIR!-Bündnis „Gipsrecycling als Chance für den Südharz“ oder im Thüringer Forschungsverbund „Ressourcenmanagement und Nachhaltiges Bauen“.

Literatur • Literature

[1] Anonymus a (2021): Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Koalitionsvertrag zwischen SPD, Bündnis 90/ Die Grünen und FDP. https://www.bundesregierung.de/resource/blob/974430/1990812/04221173eef9a6720059cc353d759a2b/2021-12-10-koav2021-data.pdf?download=1, zuletzt abgerufen am 19.01.2022. S. 58

[2] Hoy (2021): 6 Millionen Euro für weiteren Ausbau des Forschungsverbundes „Nachhaltiges Bauen und Ressourcenmanagement“. https://wirtschaft.thueringen.de/ministerium/presseservice/detailseite-1/6-millionen-euro-fuer-weiteren-ausbau-des-forschungsverbundes-nachhaltiges-bauen-und-ressourcenmanagement, zuletzt abgerufen am 07.02.2022

[3] Demmich (2021): Auswirkungen des Kohleausstiegs auf die Gipsversorgung Deutschlands: Vortrag im Rahmen des REWIMET Symposium am 25. August und 26. August 2021. https://www.rewimet.de/images/downloads/symposium2021_joerg-demmich.pdf, zuletzt abgerufen am 07.02.2022

[4] Anonymus b (2021): Gipsabfall als Wertstoff. https://www.innovation-strukturwandel.de/strukturwandel/de/report/im-blickpunkt/gipsabfall-als-wertstoff/gipsabfall-als-wertstoff_node.html;jsessionid=DF8DC5ECDE00A56E01CB216FE31D2FC5.live472 zuletzt abgerufen am 07.02.2022

[5] Anonymus c (2021): Forschung zu Gipsersatzbaustoffen. https://eu-recycling.com/Archive/33070, zuletzt aufgerufen am 07.02.2022

Autorin:

Katrin Schmidt, Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe – ThIWert, Abteilung Baustoffrecycling, Gipsrecycling und Gipsersatzbaustoffe, der Hochschule Nordhausen

Katrin Schmidt studierte an der Hochschule Nordhausen (HSN) „Flächen- und Stoffrecycling“ mit dem Schwerpunkt Verfahrenstechnik. Zwischen 2007 und 2010 war sie als Projektleiterin in einem Betrieb aus dem Bereich der Aufbereitung beschäftigt und befasste sich dort mit Aufgaben der mechanischen Zerkleinerung und der Klassierung von Rohstoffen. Seit 2010 ist sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HSN tätig. Mit der Gründung des Thüringer Innovationszentrum für Wertstoffe der HSN im Jahr 2019 ist sie Mitarbeiterin in der Abteilung Baustoffrecycling, Gipsrecycling und Gipsersatzstoffe.

www.hs-nordhausen.de, www.hs-nordhausen.de/forschung/thiwert/

 

Weitere Autoren:

Simon Eichhorn, ThIWert

Jana Henning-Jacob, ThIWert

Jantje Samtleben, Wissenschaftliche Leiterin ThIWert

Ariane Ruff, Leiterin ThIWert, Professur Urbane Ressourcen

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