Heraeus Quarzglas in Bitterfeld – eine Erfolgsgeschichte
Am 18.12.1991 startete Heraeus im Chemiepark Bitter-
feld-Wolfen die Massenproduktion von Hohlzylindern aus Quarzglas, die ein wichtiges Vorprodukt zur Herstellung von Glasfasern sind. Nach dem Fall der Mauer war das Industrierevier rund um den Ort Bitterfeld in Sachsen-Anhalt eine der industriellen „Baustellen“ des vereinigten Deutschlands. Das riesige Chemierevier musste sich aufgrund zahlreicher Insolvenzen sowie der mittlerweile überdeutlich sichtbaren Umweltschäden sozusagen neu erfinden. Das Bitterfelder Modell unternehmerischer Zusammenarbeit sah vor, hierzu die Voraussetzungen für Investoren im neuen Chemiepark zu schaffen. „Einer der ersten Investoren war Heraeus, und so erfolgte vor über 20 Jahren die Grundsteinlegung für ein Werk, in dem synthetisches Quarzglas produziert werden sollte“, erklärt Christian Nasarow, Standortleiter Heraeus Quarzglas in Bitterfeld (Bild 1). „Nach der Phase der Inbetriebnahme im Jahr 1992 stellten wir mit nur einer Handvoll Mitarbeitern den ersten Sootkörper her, bevor im Anschluss die Massenproduktion von Hohlzylindern begann (Bild 2)“, so Nasarow weiter.
Neben dem 20-jährigen Produktionsjubiläum feierte Heraeus Quarzglas 2012 gleichzeitig sein 100 jähriges Jubiläum. Am 3. April 1912 erfolgte die Gründung der Firma Heraeus Quarzglas GmbH gemäß Eintrag beim Amtsgericht Hanau. Die erste deutsche Quarzschmelze hatte ihren Produktionssitz in Griesheim bei Frankfurt. Die für das Schmelzen des Glases benötigten Gase Sauerstoff und Wasserstoff konnten dort direkt von Griesheim-Elektron bezogen werden. Mit der Gründung der Gesellschaft reagierte Heraeus auf die steigende Nachfrage nach Quarzglas und seinen Produkten und fasste innovative Arbeitsfelder zusammen. Heute ist das Unternehmen weltweit an Standorten in Deutschland (Hanau, Kleinostheim, Bitterfeld), den USA (Austin, Buford, Wilmington), China (Shenyang) und England (Wallsend) mit über 1400 Mitarbeitern aktiv. Heraeus ist global einer der wenigen Spezialisten, der diesen Werkstoff mit gängigen Produktionsprozessen in Qualitäten erzeugt, die weltweit einzigartig sind.
Die Heraeus Quarzglas GmbH stellte zunächst Laborgeräte aus Quarzglas für die chemische Industrie her. Es folgten Anwendungen in der Optik (optisches Quarzglas), zur Temperaturmessung (Platin-Widerstandsthermometer) und für Lampen (z. B. Original Hanauer Höhensonne®). Dank der hohen Qualität eroberten sich die optischen Quarzgläser von Heraeus ab den 1950er Jahren als Hightech-Werkstoff immer neue anspruchsvolle Anwendungsfelder in der Astrophysik, Raumfahrttechnik, Mikroelektronik, optischen Telekommunikation und Halbleiterindustrie. 1955 stellte der Bereich erstmals „Synthetisches Quarzglas“ her. Über eine spezielle Gebläseapparatur wurde ein extrem reines Quarzglas mit hoher UV-Durchlässigkeit erzeugt. Unter dem Markennamen Suprasil® machte es z. B. in der Raumfahrttechnik Karriere als Spiegelprismen, Linsen- und Fenstermaterial.
Heute ist hochreines Quarzglas für die Herstellung von Mikrochips und von Solarzellen unentbehrlich. Ohne Quarzglas gäbe es vermutlich auch kein Internet. Das Material gilt als Schlüssel zum Informationszeitalter. Haarfeine Lichtleitfasern (Bild 3) transportieren riesige Datenmengen schnell und sicher über Kontinente und Ozeane. Heraeus produziert synthetische Quarzglasrohre und -zylinder, die zur Herstellung von bislang über 500 Millionen Kilometer Glasfasern für die optische Nachrichtentechnik beitrugen. Das Quarzglas für diese technologischen Lebensadern wird an den Standorten in Bitterfeld in Sachsen-Anhalt und in Buford/USA hergestellt und prozessiert.
Schon im 19. Jhd. war Bitterfeld als Chemiestandort bekannt, dessen wesentliche Grundlage der dort begonnene Braunkohletagebau war. Um die Jahrhundertwende wurde Bitterfeld durch die Ansiedlung elektrochemischer Werke der bedeutendste Ort der Chlorchemie. Nach der Wende 1990 erfolgte dann eine großflächige Stilllegung der Industriebetriebe sowie des Braunkohletagebaus. Aber Neugründungen sowie die Neuansiedlung von Teilbereichen namhafter Chemiekonzerne führten die Tradition weiter. Bei Heraeus sprachen für den Standort Bitterfeld vor allem die guten Expansionsmöglichkeiten für Produktion und Verwaltung, Standortvorteile durch die lang ansässige Chlorchemie (Stoffverbund unterschiedlicher Firmen durch ein weitverzweigtes Pipelinesystem) sowie das Vorhandensein von hochqualifiziertem Fachpersonal vor Ort und vor allem auch eine sehr gute Verkehrsanbindung.
Mit den Jahren nahmen nicht nur die Mitarbeiterzahl im Werk, sondern die Größe, das Gewicht sowie die Qualität der hergestellten Quarzglaskörper zu. Heute ist Heraeus Technologie- und globaler Marktführer bei synthetischem Quarzglas für Anwendungen der Telekommunikationsindustrie; auf einer Fläche von 40 000 m2 am Standort Bitterfeld produzieren und entwickeln rund 400 Mitarbeiter synthetisches Quarzglas für die optische Telekommunikation. Das hochreine SiO2 wird aus Siliziumtetrachlorid in einer Knallgasflamme erzeugt. Die entstehenden SiO2-Partikel werden auf einem Target abgeschieden (Bilder 4 und 5), der anschließend getrocknet wird. Der poröse, milchige Sootkörper wird mittels Zonenrandschmelzverfahren unter Vakuum bei 1600 bis 1700 °C zu einem festen, glasklaren Quarzkörper umgewandelt. Um die Vorformen in die entsprechenden geometrischen Abmessungen für den nachfolgenden Prozess zu bringen, werden diese noch zu rotationssymmetrischen Körpern geschliffen (Bilder 6 und 7). Aus diesen werden dann später im Werk Buford/USA im RIC-Prozess (Bild 8) oder direkt beim Kunden die Glasfasern hergestellt.
Aus drei Meter langen Vorformen können bis zu 7000 Kilometer Glasfaser am Stück gezogen werden. „Aktuell entstehen weltweit pro Sekunde schätzungsweise drei Kilometer Glasfaser aus unserem Quarzglas“, beschreibt Christian Nasarow. Das Unternehmen produzierte bis heute synthetische Quarzglaszylinder, die zur Herstellung von über 500 Millionen Kilometer Glasfasern für die Telekommunikation beitrugen. Dies entspricht annähernd der dreieinhalbfachen Entfernung von der Erde zur Sonne oder dem mehr als 12 000 fachen Erdumfang. Insgesamt wurden seit der Inbetriebnahme über 18 000 t synthetisches Glas produziert. Da die Werke I und II in Modulbauweise konzipiert wurden, können die Anlagen entsprechend der Auslastung zu- und abgeschaltet werden.
Stolz sind die Quarzglas-Experten auch darauf, dass sich Heraeus als eines der wenigen Unternehmen auf dem Mond verewigt hat. Am 20. Juli 1969 brachte die legendäre Apollo-11-Mission neben dem ersten Menschen auch einen Laserreflektor mit auf den Erdtrabanten. Der Reflektor dient heute noch zur genauen Bestimmung des Abstandes zwischen Erde und Mond (rund 384 000 km). Er besteht aus einer Anordnung von 100 Tripelprismen aus Quarzglas von Heraeus.