Fast 100 – und immer einen Schritt voraus
1922 wurde die W. Steinhaus & Co. GmbH in Mühlheim gegründet. In dieser Zeit gehörte viel Mut zu einer Firmengründung, die Nachwirkungen des Krieges und die Vorboten der Weltwirtschaftskrise waren deutlich zu spüren. Trotzdem entschloss sich der Ingenieur Wilhelm Heinrich Steinhaus, der vorher als Vertriebsingenieur im Bereich Trenntechnik Erfahrung gesammelt hatte, zu diesem Schritt. 1930 wurde das Unternehmen in Siebtechnik GmbH umbenannt. Schon frühzeitig schuf man mit der Gründung von Auslandsgesellschaften die Basis für die internationale Ausrichtung der Unternehmensgruppe.
Nach dem Tod von Wilhelm Heinrich Steinhaus trat 1974 Robert Steinhaus, Großneffe des Gründers, in die Geschäftsführung ein. Ihm ist unter anderem der verstärkte Ausbau der internationalen Ausrichtung der Unternehmensgruppe zu verdanken. Dadurch legte er den Grundstein für die heutige Größe und weltweite Bedeutung. Im Jahr 2006 trat Christian Steinhaus, nach Beendigung seines volkswirtschaftlichen Studiums und ersten beruflichen Erfahrungen, in 4. Generation der Geschäftsführung der Siebtechnik GmbH bei.
Im Jahr 2009 hat die Gruppe mit über 40 Unternehmen und 2800 Mitarbeitern weltweit einen Umsatz von 380 Mio. € erzielt. Bei der Siebtechnik GmbH selbst sind 230 Mitarbeiter beschäftigt, die einen Jahresumsatz von ca. 42,0 Mio. € (Durchschnitt der letzten drei Jahre) erwirtschaften.
Anlässlich des 90jährigen Firmenjubiläums trafen sich Dr.‑Ing. Jürg Pollmanns, technischer Geschäftsführer, Günther Liefke, Leiter Marketing, und Dr. Petra Strunk, Chefredakteurin der AT INTERNATIONAL zum Gespräch über Neuentwicklungen, aktuelle Projekte und über die wichtigsten Meilensteine einer über 90 Jahre gewachsenen Firma.
Dr. Pollmanns: Als erstes waren Siebbeläge und Siebmaschinen im Programm. Die Siebtechnik startete als typischer Bergbauzulieferer hier im Ruhrgebiet. Schon früh hatte man aber auch den Export im Fokus und in den Niederlanden und Belgien wurden in der Nähe der großen Überseehäfen Verkaufsgesellschaften gegründet.
Dr. Pollmanns: 1945 begann man mit der Eigenfertigung von Schwingsiebmaschinen und Schwingzentrifugen für die Feinkohlenentwässerung. Kurz danach wurde die erste Siebschneckenzentrifuge von Typ Konturbex gebaut. Bald darauf gehörten Labormaschinen und Zerkleinerungsaggregate zum Produktportfolio. Man setzte sehr schnell auch auf andere Bereiche. Die Siebtechnik hat sich immer den Trends gestellt, die der Markt gefordert hat und die entsprechenden Maschinen neu entwickelt. Die Philosophie der Entwicklung, Konstruktion und Herstellung von auf den Kundenbedarf zugeschnittenen Maschinen ist bis heute ein prägender Erfolgsfaktor der Siebtechnik GmbH.
Dr. Pollmanns: Die Siebtechnik GmbH ist in drei Abteilungen gegliedert – entsprechend der Produktgruppen, die sie herstellt.
Die Abteilung 1 beschäftigt sich mit Sieb- und Aufbereitungsmaschinen. Die größten Siebmaschinen mit Doppelunwuchtgetrieben aus eigener Fertigung bringen 33 t auf die Waage und werden in der Erz-, Kohle- und Natursteinaufbereitung eingesetzt. Außerdem sind in dieser Abteilung mechanische Setzmaschinen zur Trennung von Leicht- und Schwerfraktionen angesiedelt, die in den Bereichen Recycling, Sand und Kies und für die Erzaufbereitung Einsatz finden.
Die Abteilung 2 hat ein deutlich weiter gefächertes Produktprogramm. Dort sind zum einen die Labormaschinen/Analysengeräte angesiedelt, des Weiteren Zerkleinerungsaggregate sowohl für den Labormaßstab als auch für die industrielle Produktion, d.h. Backenbrecher, Prallmühlen, Hammerprallmühlen. Ein spezielles Produkt ist die Exzenterschwingmühle, die aufgrund ihrer charakteristischen Bewegung sehr hohe Energien in das Mahlgut eintragen kann und für sehr ausgewählte Anwendungen, wie z.B. für mechanisch aktivierte Reaktionen, in Frage kommen. Es ergibt sich aus der Komplexität der Anwendungen, dass Exzenterschwingmühlen für den jeweiligen Anwendungsfall konzipiert werden müssen. Außerdem liefert die Abteilung 2 schlüsselfertige Probenahmeanlagen hauptsächlich für die Bereiche Kohle, Eisenerz und Mineralien. Diese Anlagen kommen im Bergbau, bei Schiffsverladungen, sowie in Kraftwerken und Hüttenwerken zum Einsatz. Entscheidend bei der Probenahme ist, dass man wirklich repräsentative – der jeweils international unterschiedlichen, gültigen Spezifikation entsprechende – Proben erhält, was ein hohes Maß an Engineeringaufwand erfordert. Der Lieferumfang umfasst dabei Probenahme, -transport, -teilung, -zerkleinerung, ‑sammlung und Verwurfhandling. Letztlich ist in Fällen, in denen von der Nachweispflicht Gebrauch gemacht werden muss, wichtig, dass Abnehmer und Lieferant des Rohstoffes über das gleiche Material sprechen.
Diese beiden Abteilungen tragen zusammen mit ca. 30 % zum Gesamtumsatz bei – in je nach Auslastung wechselnden Anteilen.
70 % des Umsatzes werden im Bereich Fest-Flüssig-Trennung erwirtschaftet. Unsere Abteilung 3 entwickelt und baut kontinuierliche Zentrifugen aller Art. So finden sich Siebschnecken-Zentrifugen, Schubzentrifugen, Schwing-Zentrifugen, Dekantierzentrifugen, Gleit-Zentrifugen, Labor-Zentrifugen und natürlich kunden- und anwendungsspezifische Bauartkombinationen im Programm.
2002 haben wir beispielsweise einen Dekanter komplett aus Titan gebaut. Das war eine echte Herausforderung. Der Kunde ist an uns herangetreten und wir sind bei der Siebtechnik so aufgestellt, dass wir dem Kunden das liefern, was er für seinen Prozess benötigt.
Die Zentrifugenabteilung ist sehr innovativ, ständig mit dem Ohr am Markt. 2006/2007 haben wir die größte Schwingschleuder hergestellt – die HSG 1650. Sie wird in Tunesien in der Salzindustrie eingesetzt. Eine ganz aktuelle Neuentwicklung ist die größte Siebschneckenzentrifuge mit 1500 mm Durchmesser. Diese wurde im Rahmen eines Pilotauftrages 2011 ausgeliefert und beim Kunden nach kurzer Zeit in Betrieb genommen – die Siebschneckenzentrifuge ging in die Pottascheaufbereitung nach China. Der Folgeauftrag umfasst nun den Bau von 40 weiteren baugleichen Zentrifugen, den wir in diesem Jahr noch abwickeln werden. Die ersten Maschinen werden im Mai ausgeliefert, und auch auf der Achema wird eine dieser Zentrifugen zu sehen sein.
Dr. Pollmanns: Auch bei den Zentrifugen begann die Entwicklung in der Kohle-, Erz- und Salzaufbereitung. Heutzutage liegen die Schwerpunkte in der Chemie- und Lebensmittelindustrie. Dabei ist die Chemie der stärkste Bereich.
In vielen Anwendungen schließen sich Trockner – ebenfalls im Produktportfolio unserer Unternehmensgruppe – als nächster Verfahrensschritt an die Zentrifugen an. Je leistungsfähiger die Zentrifuge ist, umso effizienter kann unser Kunde produzieren, da mechanische Entwässerung immer günstiger ist als Entwässerung auf thermischem Wege. Jeder Prozentpunkt weniger Restfeuchte bedeutet somit einge-sparte thermische Energie.
Geografisch gesehen ist China als ein wichtiger Schwerpunkt anzusehen, da dort sehr viele unserer Zentrifugen im Einsatz sind.
Dr. Pollmanns: Ich bin ja „erst“ 11 Jahre dabei, habe also nur gut ein Zehntel der Firmengeschichte miterlebt. Aber es macht mich wirklich stolz, bei einem so langjährigen Unternehmen tätig zu sein. Das heißt auch, dass sich das Unternehmen immer wieder gut aufgestellt und richtig positioniert hat. Eine solch lange Firmengeschichte steht natürlich auch für Kontinuität.
Dr. Pollmanns: Man hatte sehr häufig das richtige „Händchen“, um Markttendenzen und Märkte zu erkennen und mitzubekommen, in welchen Ländern welche Anlagen bzw. Maschinen benötigt werden. Sicherlich muss man in diesem Zusammenhang auch Geschick und Glück, was die Gründung von Tochterunternehmen und die Akquise angeht, erwähnen. Das trifft auf alle Unternehmen in unserer Gruppe zu.
Dr. Pollmanns: Genau das zeichnet die Gruppe vor allem aus. Wir haben hier sehr kurze Wege, einen sehr direkten Informationsfluss zum Verwaltungsrat, der den Geschäftsführern ein sehr schnelles Handeln ermöglicht. Wir müssen nicht erst ein Board auf der anderen Seite des Globus einberufen. Und man geht sehr kultiviert und offen miteinander um.
Dr. Pollmanns: Wichtig ist ganz klar, dass sich die Mitarbeiter auf die Unternehmensleitung und dass die Unternehmensleitung sich auf die Mitarbeiter verlassen können. Dass das Gefühl da ist, man verfolgt das gleiche Ziel! Vor diesem Hintergrund haben wir eine personelle Kontinuität entwickelt, die bei unserem Produktportfolio auch ganz entscheidend ist. Wir haben viele Sonderprodukte, bei denen es auf vielen Ebenen auf Erfahrung ankommt – bei den Entwicklungsingenieuren, den Konstrukteuren, dem technischen Vertrieb und bei unseren Montagespezialisten. Die persönliche Bindung an die Firma funktioniert nur bei einem vernünftigen Klima unter den Mitarbeitern aller Stufen und Abteilungen.
AT INTERNATIONAL: Wie wird diese Unternehmenskultur weitergetragen – auch z.B. an neue Mitarbeiter bzw. wie wird diese Unternehmenskultur lebendig gehalten?
Dr. Pollmanns: In dem Moment, in dem ein neuer Mitarbeiter in das Unternehmen eintritt, bekommt er sehr schnell den Spirit des Unternehmens mit. Es zeigt sich rasch, ob ein Mitarbeiter da reinpasst. Bisher hatten wir ein ganz gutes „Händchen“. Wir haben auch viele Jubilare, die schon 20, 30, 40 Jahre im Unternehmen sind. Die jährliche Jubilarsfeier, bei der die „25‑Jährigen“ und die „40-Jährigen“ von Seiten der Geschäftsführung geehrt werden, ist eine feste Institution bei uns.
Liefke: Es gibt keine schriftliche Anweisung, es wird im Unternehmen einfach vorgelebt – und das ist, glaube ich, auch das Entscheidende. Im wahrsten Sinne des Wortes ist es ein Familienunternehmen und man fühlt sich auch zur Familie gehörig – es sind eben kurze Wege und eine hohe Verbindlichkeit.
Dr. Pollmanns: …und das spürt auch der Kunde, da er über Jahr hinweg immer denselben Ansprechpartner hat – also Kontinuität, die dem Kunden nutzt.
Liefke: Wir sind nicht von anderen abhängig, das Unternehmen ist eigenfinanziert, es wird mit Vorsicht und mit Blick in die Zukunft investiert. Wir schauen sehr gründlich, was ist gut für uns und was nicht. Wir denken eher langfristig. Selbst in der Krise gab es keine Reduzierung des Personals.
Dr. Pollmanns: Bei den Produkten war die richtige Entscheidung, nicht nur im Bereich der mineralischen Rohstoffe zu bleiben, sondern auch in die Chemieindustrie zu gehen. In meinem angestammten Bereich trägt der Großsiebmaschinenbau immer noch zum Erfolg der Firma bei. Die erste Bananensiebmaschine war auf alle Fälle ein Meilenstein – sowie auch die erste Siebschneckenzentrifuge. Ein weiterer, sehr aktueller Meilenstein ist sicherlich die Siebschneckenzentrifuge CX 1500.
Die Entscheidung, in China für den dortigen Markt zu produzieren und mit dem Service vor Ort präsent zu sein, war sicherlich ein ganz wichtiger Schritt für uns. Ein weiterer Meilenstein Mitte der 1980er Jahre war auch die Gründung des Schwesterunternehmens Multotec in Südafrika. Dort werden Siebbeläge, Zentrifugen und Verschleißteile hergestellt, die in Afrika im gesamten Bergbau dieses an Rohstoffen reichen Kontinents Anwendung finden.
Dr. Pollmanns: Das Unternehmen ist vollständig unser Eigentum. Bedenken sind da, man muss sich des Risikos bewusst sein, aber wir können damit umgehen.
Liefke: Die Siebtechnik verfügt über ein Technikum. Dort können wir das Kundenmaterial mit unterschiedlichen Maschinen testen, die auch als Mietaggregate dienen, die wir dem Kunden für Untersuchungen in seinem Werk zur Verfügung stellen. F&E richtet sich direkt nach der Kundenanforderung und wird durch diese Anforderungen auch ständig weiter vorangetrieben.
Dr. Pollmanns: Wir sind in ganz Europa aktiv und verfügen über Zentrifugenfabrikationsstätten in direkten Tochtergesellschaften in den USA und China sowie in Australien und Südafrika. Darüber hinaus gibt es Siebmaschinen-Lizenzfertigungen in Südafrika und Indien. Die Tema in den Niederlanden bearbeitet für uns die internationalen Märkte und etabliert unsere Produkte.
Dr. Pollmanns: Im Zentrifugenbereich ist China ein deutlicher Schwerpunkt, wie auch USA und Europa. Allerdings stellen wir fest, dass Projekte mit großen Stückzahlen in Europa kaum noch generiert werden. Ein weiterer Schwerpunkt ist auch Australien.
Dr. Pollmanns: Unseren Standort China werden wir ausbauen, wobei der Anfang mit dem Großauftrag schon gemacht wurde. Wir schauen uns weiße Flecken auf der Landkarte und in der Produktanwendung an und werden den Kunden überzeugen, unsere Produkte einzusetzen, die ihm einen technologischen Vorteil bringen. Der Export hat sich in der letzten Zeit stark erhöht, das Inlandsgeschäft ist schwächer geworden, man muss sicher auch in Zukunft flexibel auf die Märkte reagieren können.